Nach der Zerstörung des Tempels in Jerusalem im 6. Jahrhundert und dem sich anschließenden babylonischen Exil entstanden Versammlungshäuser, in denen die Menschen Gottesdienste abhielten, studierten und diskutierten. Baugeschichtlich leitetet sich manches vom Tempel, und älter noch vom Stiftszelt in der Wüstenzeit her. Der Ort des Tempels kennzeichnet auch die Gebetsrichtung und die Ausrichtung eines Synagogengebäudes nach Jerusalem. Im Danielbuch Kapitel 6, 11 findet sich der Hinweis auf die einzuhaltende Richtung. Der Schrein mit der Torarolle liegt ebenfalls auf dieser Blickachse.

Spätere Synagogen der Diaspora, so auch die in Niederstetten, weisen keinen besonderen Baustil auf, sondern folgen den örtlichen Traditionen. Eine erste Synagoge – 1741/44 in der Mittelgasse erbaut – entsprach bald nicht mehr den Bedürfnissen der weiter gewachsenen Gemeinde. Diese Gasse hieß bis in die NS-Zeit hinein „Synagogengasse“.

Die sogenannte „neue Synagoge“ mit größeren Gemeinderäumlichkeiten wurde durch Stiftungen, Gemeindeumlagen und Aufnahme eines Kredits finanziert und 1824 auf einem benachbarten Grundstück fertiggestellt. In ihr befand sich eine kleine Lehrerwohnung, Gemeinschaftsräume und die „Schul“. Die Niederstettener Synagoge war eine der wenigen Synagogen weit und breit, die eine Kanzel hatte.
Synagoge und Gemeindezentrum Hospitalstraße, Stuttgart Die Synagoge
Die Tora ist der Grundstein des jüdischen Glaubens. Sie ist der wichtigste Bestandteil der hebräischen Bibel. Dem Wortsinn nach bedeutet sie Lehre, Weisung, Gesetz. Der Begriff wird jedoch in vielen Bedeutungen gebraucht. Die engste bezeichnet die fünf Bücher Mose, die das Volk Israel nach den biblischen Berichten am Berg Sinai erhielt. Während in der Tora neben den erzählenden Teilen 613 Ge- und Verbote aufgelistet werden, werden in der sich anschließenden mündlichen Tora und deren schriftliche Ausformungen (Mischna und Talmud) diese Vorschriften konkretisiert und verändert.

Mit dem Begriff Tora wird auch die Torarolle bezeichnet. Diese ist eine handgeschriebene Rolle aus Pergament mit dem hebräischen Text. Im Gottesdienst wird daraus vorgelesen, wobei das Lesen eher an ein Singen erinnert. An jedem Sabbat ist ein bestimmter Textabschnitt dran, sodass sie nach einem Jahr vollständig durchgelesen ist. Eine solche Rolle wird grundsätzlich von Hand geschrieben, von einem dafür ausgebildeten Sofer (Schreiber).

Zum Toraschmuck gehören Wimpel, Toramantel, Toraschild, Torakrone und Zeigestab. Wird die Tora gut sorgfältig behandelt, kann sie mehrere Hundert Jahre rituell brauchbar bleiben. Torarollen, die sich abgenutzt haben oder nicht mehr restauriert werden können, werden sorgfältig verwahrt und in einem gesonderten Grab im jüdischen Friedhof begraben.

Die jüdische Gemeinde in Niederstetten besaß zwischen zwanzig und dreißig Thorarollen, von denen ein großer Teil Eigentum der Gemeinde war. Die Rollen wurden nach der Familie benannt, von der sie kamen.

Schon die dreijährigen Kinder waren dabei wenn in Niederstetten die Torarollen mit Wimpeln in die Synagoge getragen wurden. Darauf gestickt der Name und persönliche Glückwünsche. Der Wimpel, aus Leinwand hielt die Rollen zusammen. Somit waren alle Namen im Gotteshaus aufbewahrt. Im November 1938, als vielerorts jüdische Geschäfte geplündert und Synagogen in Brand gesteckt wurden, entschloss sich die noch am Ort verbliebene jüdische Gemeinde einen alten Brauch wieder aufleben zu lassen und die heiligen Schriften und Gegenstände soweit man sie nicht vorher in Sicherheit bringen konnte, auf dem Friedhof zu vergraben. Ein großes Loch wurde geschaufelt, dann zog man mit einem Handwagen zur Synagoge, belud ihn und zog auf die Anhöhe zum alten Friedhof, der seit 1740 für Juden bestand.
Tora
Toraschrein der Münchner Synagoge Der Toraschrein wird auch Heilige Lade genannt. Der Überlieferung nach wurden die 10 Gebote in einer Lade im Stiftszelt aufbewahrt. Es erhielt seinen Namen, weil jeder aus dem Volk Israel einen Teil zur Errichtung des Zeltes beigetragen und gestiftet hatte. Und auch die Verhüllung des Allerheiligsten stammt aus dieser Zeit. Dementsprechend ist der Thoraschrein in der Synagoge durch einen Vorhang verhüllt. Er steht an der Wand des Gebäudes, die in Richtung Jerusalem weist.

In jeder Synagoge steht ein Toraschrein oder Toraschrank. In ihm liegt mindestens eine Torarolle. Sie enthält die Weisungen Gottes und ist daher der heiligste Gegenstand im Judentum. Der Toraschrein erinnert an die Bundeslade mit den Zehn Geboten. Daher heißt er auch „Heilige Lade“. Die Bundeslade trug das Volk Israel einst durch die Wüste. Laut Überlieferung machte ihnen dieser Auftrag Gottes bewusst, dass Gott immer in ihrer Mitte wohnt.

Der Toraschrein befindet sich in der Synagoge immer an der Wand, die nach Jerusalem zeigt. Dort steht der Schrank oft erhöht in einer Nische, und davor ein Vorhang. Er wird oft von Gemeindemitgliedern gespendet, die damit an einen Verstorbenen oder an die von den Nazis ermordeten Juden erinnern wollen. Der Vorhang ist hin und wieder aus Samt genäht und in hebräischer Schrift mit einem Vers aus der Tora und mit den Namen bestickt. Die Farbe wählt der Spender selbst. Nur zum jüdischen Neujahrsfest hängt stets ein weißer Vorhang vor dem Schrein.

Der Toraschrein in der Niederstettener Synagoge wird als sehr breit und mit entsprechend teuren Vorhängen ausgestattet beschrieben. Stolz war man auf den sogenannten „Brochos“ – ein mit Segenssprüchen versehener Vorhang vor der Heiligen Lade. Er war eine Stiftung der Familie Goldstein zur Einweihung der Synagoge in den 1820er Jahren. Man munkelte, dass der kostbare Stoff die unerhörte Summe von 1000 Gulden gekostet hätte. Aus Goldbrokat gewirkt, wurde er an den hohen Feiertagen gebraucht.
Toraschrein
Die Synagoge mit der Schule und dem Innenhof, daneben das Frauenbad, waren der äußere Rahmen, in dem sich das jüdische Leben in der hohenlohischen Kleinstadt abspielte. Dabei ist eben die Mikwe, das rituelle Tauchbad, so bedeutend, dass ihr Bau sogar Vorrang vor einer Synagoge hatte. Das Eintauchen in das Wasser diente der gesetzlich vorgeschriebenen Reinheit. Im Volksmund nannte man sie übrigens auch „Judentauch“

Die Tora ordnet das rituelle Bad nicht nur der Frau zu, sondern bezieht sich vielmehr auf gewisse Ereignisse: Verletzungen, bestimmte Krankheiten, Geburt, Kontakt mit Toten. Unrein konnte man auf verschiedene Art werden. Das rabbinische Judentum hingegen war sehr auf die Regelblutung der Frau fixiert.

Das Wasser einer Mikwe soll einen natürlichen Ursprung haben. So kommt Grundwasser oder Regenwasser in Frage. Durch verschiedene Konstruktionen ist selbst bei Leitungswasser eine Berührung mit dem lebendigen Wasser, das als „koscher“ gilt, gewährleistet. Eine moderne Mikwe hat einen hohen Hygienestandard und ist mit bestem Komfort ausgestattet, beheizt und mit Filtern versehen.

Inzwischen leistet sich nicht mehr jede Synagoge eine eigene Mikwe. Andere Bedürfnisse stehen im Vordergrund: Der Kinderunterricht, Grundsatzdebatten um die Zukunft des Judentums, die Eingliederung neuer Einwanderer aus Osteuropa, soziale Probleme der Gemeindemitglieder; kulturelle Aktivität, um in der Gesellschaft sichtbarer zu werden.

Mikwe Worms Mikwe Rituelles Frauenbad Mikwe, Installation im jüdischen
Museum London
Ewiges Licht in der großen Synagoge/Budapest Ewiges Licht in der Synagoge Beth Scholom, Elkinspark, Montgomerie, USA. –
als „National Historic Landmark“ anerkannt
Das „ewige Licht“, ursprünglich eine Öllampe, inzwischen auch elektrifiziert und mit modernem Design, befindet sich vor dem Toraschrein über dem erhöhten Platz für die Verlesung der Tora. In älteren Synagogen waren sie an Ketten an der Decke befestigt. Das Ner Tamid leitet sich vom ewigen Licht im Tempel ab. Dort brannte es als mittleres Licht zwischen den sechs Armen des 7-armigen Leuchters. Es war der Überlieferung nach für das tragbare Stiftszelt der Wüstenzeit gedacht. So gilt es als schönes Symbol für die ständige Anwesenheit Gottes. Deshalb wird es auch nicht beliebig ein- oder ausgeschaltet. (Quelle: Jüdische Allgemeine online vom 9.7.2015)

Um im Rahmen dieser Tradition den Standort des Heiligtumes anzuzeigen, findet sich das ewige Licht in der römisch-katholischen Kirche in der Nähe des Tabernakels. Dieses hat namentlich seinen Ursprung im Stiftszelt
(lat. Tabernaculum testimonii). Von der Bedeutung des ewigen Lichts ist auch im Prophetenbuch des Jesaja Kapitel 60, 19-20 die Rede. „ Bei Tag wird nicht mehr die Sonne dein Licht sein, und um die Nacht zu erhellen, scheint dir nicht mehr der Mond, sondern der Herr ist dein ewiges Licht, dein Gott dein strahlender Glanz. Deine Sonne geht nicht mehr unter und dein Mond nimmt nicht mehr ab; denn der Herr ist dein ewiges Licht.“
Ewiges Licht (Ner Tamid)
Menora in einer Synagoge von Cordoba Siebenarmiger Leuchter vor der Knesset in Jerusalem Der acht- bzw. neunarmige Leuchter bezieht sich auf die Menora und wird am Chanukkafest angezündet. Das ewige Licht, das in den Synagogen brennt, erinnert ebenfalls an die Menora des Tempels. Das Chanukkafest, das etwa in der Zeit unseres Weihnachtsfestes gefeiert wird, erinnert an eine besondere Begebenheit aus der Geschichte des jüdischen Volkes und des Tempels. Nachdem dieser im zweiten Jahrhundert durch das Aufstellen eines Zeusaltar entweiht wurde, kam es zum Aufstand frommer Juden. Unter dem Anführer Judas Makkabäus wurden die Zeusanbeter vertrieben und das jüdische Gotteshaus wurde neu eingeweiht. Nach der Überlieferung des Talmud fand man die Menora unversehrt vor. Allerdings gab es nur noch rituell reines Olivenöl für einen einzigen Tag. Wie durch ein Wunder brannte die Menora jedoch die gesamten acht Tage hindurch bis neues geweihtes Öl hergestellt worden war. Daran erinnern die 8 Kerzen des Chanukaleuchters. Die neunte Kerze in der Mitte ist diejenige, mit der die anderen acht entzündet werden. Chanukkaleuchter, Niederstetten Die Menora (Lampe, Leuchter) gehört zu den wichtigsten religiösen Symbolen im Judentum. Der siebenarmige Kerzenständer geht zurück auf die Tempeltradition. Er gehörte zum Tempelinventar und findet erstmals eine Erwähnung im Buch Exodus, 25, 31-40. Die Menora symbolisiert die Schöpfung der Welt in sieben Tagen. Der siebte Arm, die Achse, von der die Arme abzweigen, steht für den Sabbat. Als der zweite Tempel im Jahr 70 nach Christus durch die Römer und deren Feldherr und späteren Kaiser Titus zerstört wurde, verschleppte man den Leuchter nach Rom. Im Staatswappen Israels findet sich zwischen zwei Ölbäumen die Menora, nachgebildet dem Motiv auf dem Titusbogen in Rom. Die Tora verbreitet Licht. Sein Volk soll das Licht unter den Heiden sein (Jesaja 42, 6). Die Menora verkörpert geistige Einsicht, Erleuchtung und Lebensfreude. Das Licht selbst hat seinen Ursprung in Gott und steht für die Lebensfreude, die sich in den Lichtern der Menora und der Chanukka widerspiegelt.
Menora und Chanukkaleuchter Chanukka Fest am Brandenburger Tor
Bima in der Ansbacher Barocksynagoge Während der hohen Feiertage werden die Decke der Bima, die Mäntel der Torarollen und der Vorhang des Schreins mit weißen Stoffen versehen. Weiß repräsentiert Reinheit, Vergebung und Neuanfang, alle zentrale Themen der hohen Feiertage.
Bima Die Bima (Podium) befindet sich im Zentrum der Synagoge. Auf der Bima, die an ein Lesepult erinnert, wird die Tora verlesen und auch einige der Gebete gesprochen. Über eine kleine Plattform mit ein paar wenigen Stufen ist sie zu erreichen. In den orthodoxen Gemeinden befindet sie sich in der Mitte des Raumes, um auch deutlich zu machen, dass die Tora die Mitte des Glaubens und des Gottesdienstes zu sein hat.

Die Bima ist der Einrichtungsgegenstand, welcher die Anlage einer Synagoge am meisten beeinflusst. Der Vorsteher liest von dort während des Gottesdienstes aus den Torarollen und leitet die Gemeinde an, sich beim Gebet nach Jerusalem zu wenden. Jeder Mann kann zur Lesung aufgerufen werden, was für den Betreffenden eine große Ehre darstellt, aber meist übernimmt dies der Vorleser, da die Lesung in einem bestimmten Tonfall, nach strengen Vorschriften erfolgen muss. Das Lesepult ist ständig mit einer Decke bedeckt, um so der Tora Ehre zu erweisen.
Sabbatkerzen Sabbat Der Sabbat beginnt wie alle jüdischen Feste am Vorabend, da die Tage im jüdischen Kalender abends beginnen und am Abend enden. Er wird in der Familie und in der Synagoge gefeiert.
Man wendet sich besonders zu seinen Mitmenschen hin.

Da Gott am siebten Tag geruht hat, soll der Mensch sich an diesem Tag von seiner Arbeit ausruhen. Diese Ruhe soll sich auf alle, ohne sozialen Unterschied, ausdehnen. Am Sabbat ist jede Art von Arbeit untersagt. Die Einhaltung des Sabbat ist so wichtig, dass gesagt wird: "Der Sabbat wiegt alle Gebote auf, wer den Sabbat vorschriftsmäßig hält, hat damit gleichsam die ganze Thora anerkannt; und wer ihn entweiht, ist, als ob er die ganze Thora abgeleugnet hätte." ( Schulchan Aruch, 404 )

Am Freitag werden notwendige Vorbereitungen getroffen. Diese beginnen schon am Morgen. Das Haus wird geputzt, und alles für die Sabbatmahlzeiten herangeschafft. Die Mahlzeiten werden vorbereitet, und vorgekocht, damit die Speisen warm gehalten werden können.

Man besorgt sich Berches, lässt sie backen oder bäckt sie selber. Die Mutter sondert Challa (ein kleines Stück Brot bzw. Teig) als Opfergabe zum Verbrennen ab. Das ist eine biblische Vorschrift.

Von einer solchen Sabbatfeier im Kreis der Familie berichtet der Niederstettener Bruno Stern: „…Viele Räume im Hause waren beleuchtet, da man am Schabbos kein Licht machen durfte. War es beim Fortgehen in der Synagoge auch noch lebhaft zugegangen, bei der Rückkehr war alles ruhig. Im Wohnszimmer brannte die Schabboslampe. Der Tisch war schön gedeckt. Auf dem Teller des Hausherrn lagen zwei Berches.

Darunter versteht man ein besonders geflochtenes Brot aus 12 Strängen, das den 12 Stämmen der Bibel entsprach. Die nichtjüdischen Bäcker der Stadt hatten sie am Freitag in der Frühe genau nach Vorschrift der Gemeinde gebacken.

Zuerst begrüßten sich Vater und Mutter, die sich in der Zwischenzeit auch festlich angekleidet hatte. Dann gingen wir Kinder der Reihe nach zu Mutter, und sie segnete uns. Darauf wusch man sich die Hände, machte Kiddusch und dann Mozah (Segenssprüche über Brot und Wein). Anschließend setzte man sich zum Essen nieder. Das übliche Freitagabendessen bestand aus Nudelsuppe, eingemachtem Fleisch, Sauce, Kartoffelsalat und einer Mehlspeise. Der Tradition gemäß sollten es immer drei Gänge sein, weil das Manna, das die Israeliten in der Wüste gegessen hatten, aus dreierlei Lagen bestanden haben soll. Oft wurde auch Fisch als Zwischenspeise gereicht… Die Ruhe und die Feierlichkeit des traditionellen Freitagabend, wie es bei den süddeutschen jüdischen Familien beobachtet wurde, war einzigartig. Es war ein Abend, an dem die ganze Familie beisammen saß. Die Geschäfte und Leiden des Alltags waren vergessen. Es war gerade, als ob man in eine andere Welt getreten wäre.“
Frauen und Männer Das Verhältnis der beiden Geschlechter kann als Rollenverteilung beschrieben werden. Während der Mann für den öffentlichen Gottesdienst verantwortlich war, war die Frau dem Leben in der Familie zugeordnet. Waren die Männer Wochentags unterwegs, verstand sie sich als Hüterin der Häuslichen Religiosität. Sie zündete am Sabbat die Kerzen an und segnete sie. Sie war verantwortlich für die kultische Reinhaltung der Wohnung und der Speisen und für die religiöse Erziehung.

In der Sitzordnung beim Gottesdienst herrscht Geschlechtertrennung. Mittelalterliche Synagogen hatten separate Räumlichkeiten, Männer -und Frauenbereiche. Erst mit den Reformen im 19. Jahrhundert gab es ein Entgegenkommen der Männer. Die Gitter der Frauenbereiche wurden niedriger gebaut, es kam zu Öffnungen mittels von Durchbrüchen.

In der Synagoge des Städtchens im Vorbachtal gab es zwei Frauenbereiche. Betrat man die Synagoge kam man auf eine kleine Plattform von der die Stufen in den Männerraum hinabführten. Rechts und links davon leiteten Türen in die untere Abteilung der Frauensynagoge. Diese war etwas erhöht und durch eine einfache Holzbalustrade vom Männerbereich getrennt. Direkt darüber befand sich noch eine große Frauengalerie, die so breit wie die ganze Synagoge war. Die Sitzreihen stiegen nach hinten stufenförmig an, so dass man sehen konnte, was unten vor sich ging. Gleich neben dem Eingang befand sich die Treppe nach oben. Nicht einig waren die Strengeren unter den Gemeindegliedern allerdings damit, dass die Frauen im unteren Bereich denselben Eingang wie die Männer benutzten.

Spätestens seit dem 19. Jahrhundert gibt es eine breite Emanzipationsbewegung innerhalb des Judentums. Auf dem Weg zur Gleichberechtigung suchten sich Jüdinnen Berufe außerhalb des Hauses. Im Reformjudentum und bei den Konservativen gibt es heute weltweit Rabbinerinnen und Kantorinnen. Im Reformjudentum sitzen Frauen und Männer zusammen.
Weiter lesen
Laura Janner-Klausner, ehemalige Oberrabbinerin des Reformjudentums im Vereinigten Königreich Erste deutsche Rabbinerin Rabbinerinnen und Rabbiner Der Rabbiner ist innerhalb der jüdischen Gemeinde vor allem wegen seiner Gelehrsamkeit und seiner frommen Lebensweise eine moralische Autorität. Die Aufgabe des Rabbiners besteht weniger in der Leitung der Gemeinde als in der Erläuterung des göttlichen Gesetzes und der Traditionen. Diese wollen zeitgemäß übertragen und angewendet werden. Lehre und Seelsorge, Schriftauslegung in Form einer Ansprache gehören zu seinem Verantwortungsbereich.
Für die jüdische Gemeinschaft ist er für die Rechtsprechung zuständig. Das heißt, er hat das Recht auf halachische Fragen eine verbindliche Antwort zu geben. Die Halacha umfasst die Gebote und Verbote der mündlichen und schriftlichen Überlieferung. Im Laufe ihrer Geschichte war sie stetem Wandel unterworfen.
Dies gilt vor allem im Bereich der Ethik. Hier hat ein Rabbiner auf Basis der traditionellen Literatur und der Auslegung maßgebender jüdischer Gelehrter Stellung zu beziehen. Das Amt des Rabbiners erreicht man durch ein Studium an einer Talmudhochschule oder eines Seminars und durch eine Ordination (formelle Einsetzung in das Amt).
Hatte man in Niederstetten längere Zeit selbst einen Rabbiner angestellt, gehörte die jüdische Gemeinde seit 1832 zum Rabbinatsbezirk Mergentheim.
Im liberalen Judentum gibt es heute viele weibliche Rabbinerinnen, doch das ist eine recht junge Entwicklung. In den 1930er-Jahren schaffte es Regina Jonas in Berlin gegen große Widerstände, Rabbinerin zu werden. Sie wird als weltweit erste Rabbinerin bezeichnet.

Obwohl dem traditionellen Judentum verbunden, sah sie sich als gleichberechtigt neben ihren männlichen Kollegen: „Ich kam zu meinem Beruf aus dem religiösen Gefühl, dass Gott keinen Menschen unterdrückt, dass also der Mann nicht die Frau beherrscht“. Ihren Berufswunsch verfolgte sie so hartnäckig, weil sie meinte, sich von Gott dazu berufen zu fühlen und sie in den traditionellen jüdischen Gesetzen keinen Widerspruch dazu hätte finden können. Im Herbst 1942 wurde sie zusammen mit ihrer Mutter nach Theresienstadt deportiert. Dort hielt sie in Zusammenarbeit mit dem Wiener Arzt und Analytiker Viktor Frankl Vorträge zu jüdischen Themen, die Ankündigungsplakate sind erhalten geblieben. 1944 wurde sie in Ausschwitz ermordet.

Das 1999 gegründete „Abraham Geiger Kolleg“ an der Universität Potsdam ist seit der Shoah das erste liberale Rabbinerseminar in Mitteleuropa. An ihm werden in einem aufgeklärten und modernen Klima Rabbinerinnen und Rabbiner, Kantorinnen und Kantoren für Europa und die ganze Welt ausgebildet. In der etwa 900 Mitglieder zählenden Gemeinde in Bamberg, deren Synagoge 2007 eingeweiht wurde, amtiert die Medizinerin Antje Yael Deusel, die als Rabbinerin ordiniert wurde. Die Aufgaben des modernen Rabbinats sind laut Abraham-Geiger-Kolleg Predigt und Seelsorge, Religionsunterricht, Jugendarbeit und Erwachsenenbildung sowie die Klärung religionsgesetzlicher Fragen.

Für die konservative Strömung gibt es für diese Ausbildung das „Zacharias Frankel College“. Seit Wintersemester 2013/2014 besteht an der Universität Potsdam auch der Studiengang „Jüdische Theologie“, der allen Studierenden ohne Ansehen der Religionszugehörigkeit offen steht. Damit bewegt sich die jüdische Theologie auf akademischer Augenhöhe mit den christlichen Theologen und den neuen islamischen Zentren.
Weiter lesen Zurück
Das Warten auf den zehnten Beter. Minjan Vor Beginn des Gottesdienstes wurde jahrtausendelang geprüft, ob zehn jüdische Männer in der Synagoge anwesend sind. Nur dann konnte der Gottesdienst regulär stattfinden. Diese Prüfung der Anwesenden wird Minjan genannt und bedeutet wörtlich übersetzt "Zählung". Seit Mitte des 20. Jahrhunderts haben sich innerhalb des Judentums Strömungen herausgebildet, die Frauen als Teil des Minjans dazuzählen. Seit 1973 ist es auch konservativen Gemeinden erlaubt, Frauen zum Minjan zu zählen, sofern der Gemeinderabbiner dem zustimmt. Eine Mehrheit der konservativen Gemeinden praktiziert mittlerweile den sogenannten „egalitären Minjan“.

Sowohl Männer als auch Frauen können beim egalitären Minjan als Vorbeter fungieren. Frauen, die einem solchen Minjan angehören, bedecken sich meistens während des Gebets mit einem Gebetsschal und einer Kippa. Die Tendenz zur Gleichberechtigung führt auch dazu, dass Männer und Frauen während des Gottesdienstes gemischt sitzen. Auch können Frauen zur Toralesung aufgerufen werden. Laut jüdischem Gesetz ist dies streng genommen einer Frau untersagt, weil sie durch die Menstruation unrein sein könnte.
Zurück Weiter lesen
Bar Mizwa und Bath Mizwa Am Sabbat nach seinem 13. Geburtstag feiert ein jüdischer Junge Bar Mizwa. Mit einem großen Auftritt in der Synagoge, ist er ein "Gebotsmündiger" und „Sohn der Pflicht“. Somit fungiert er als vollwertiges Mitglied der jüdischen Gemeinde. Er darf offiziell aus der Tora vorlesen und kann mit neun anderen Männern einen Minjan bilden. Dem großen Tag voraus geht eine monatelange Vorbereitung mit intensivem Lernen durch einen Rabbiner. So darf der Junge an seinem Ehrentag das Gelernte unter Beweis stellen. Die Feier wurde mancherorts wohl auch vom Vorbild der evangelischen Konfirmation beeinflusst.

In Niederstetten so wird berichtet, war der traditionelle Anzug für die Bar Mizwa ein blauer Anzug mit langen Hosen und einem Hut. Trugen die Jungen ansonsten kurze Hosen und Mützen, so wurde bei einem einheimischen Schneider ein Maßanzug in Auftrag gegeben. Und man hatte von da an auch seinen eigenen Hut. Das Hotel zur Post war an Bar Mizwa immer ausgebucht. Schließlich musste die Verwandtschaft aus Hamburg, Würzburg oder Michelbach untergebracht werden.

Am Abend des Tages, also nach dem Ausklingen des Sabbats, folgt ein großes Fest mit Verwandten, Freunden und Bekannten. Dabei gibt es Geschenke, Musik, Reden, heitere Einlagen. Natürlich legt man auf ein Festessen besonderen Wert, das der gefeierte 13-Jährige mit einem besonderen Dankgebet beendet.
Ab diesem Tag wird der Junge nun wie alle Männer zum Morgengebet Gebetsriemen (Tefillin) und -mantel tragen.

Seit noch nicht allzu langer Zeit gibt es ein Fest, das zur Religionsmündigkeit führt, auch bei Mädchen. Nach dem 12. Lebensjahr wird Bat Mizwa gefeiert. Somit ist die junge Frau „Tochter der Pflicht“ und ehrt wie alle anderen Mitglieder der jüdischen Gemeinde die Tora und deren Gesetze. In streng orthodoxen Gemeinden freilich wird dieser Brauch nicht begangen.
Zurück
Beliebt bei Jung und Alt: Das Dreidelspiel am Chanukkafest

Chanukka – Lichterfest Etwa in die Weihnachtszeit fällt das jüdische Lichterfest. In Erinnerung an die Wiedereinweihung des Tempels und an die Standhaftigkeit mutiger Menschen, die sich gegen das Zurückdrängen ihrer Religion wehrten. Das fröhliche Fest war in Teilen Vorbild für die christliche Advents- und Weihnachtszeit. Während der acht Tage von Chanukka werden jeweils nach Sonnenuntergang die Kerzen am Leuchter von links nach rechts entzündet. Am Abend des Festtages wird dann gefeiert, man isst und die Kinder werden beschenkt.

In Niederstetten versammelten sich die Männer der Gemeinde in der Synagoge, wo man feierlich die Chanukkaleuchter entzündete und Gottesdienst feierte. Danach ging es nach Hause. Man zündete dort die Lichter an, sprach und sang die alten Segensgebete, darunter auch die zum Teil extra ins Deutsche übertragenen Stücke. Solange die Lichter brannten, ruhte alle Tätigkeit. Es wurde gut gegessen und danach gesungen und gespielt. Dabei lud man sich gegenseitig ein oder traf sich im Café der Stadt.
Jüdische Feiertage Weiter lesen
Brücke in Niederstetten
In den Tagen nach dem Neujahrsfest begannen die Vorbereitungen für Jom Kippur, dem großen Versöhnungstag. Lehrer und Rabbiner nahmen kein Blatt vor den Mund und jede Verfehlung, von der sie meinten, sie bedürfe der Reue und der Buße wurde angesprochen. Dies geschah öffentlich und teilweise von der Kanzel herab. Frisuren der Frauen, der aufkommende Bubikopf, gehörte ebenso dazu wie das Verladen von Vieh an einem Samstagmorgen oder sonstige Verirrungen bei der Einhaltung der Sabbatruhe. Rosch Haschanah – Neujahr Der jüdische Festzyklus beginnt mit dem Neujahrsfest (September/Oktober). Der Anfang des Neuen Jahres steht im Zeichen des Gedenkens und der Sühne. Es wird an den Bund erinnert, der zwischen Gott und Israel geschlossen wurde. Dementsprechend ist der Mensch verpflichtet, vom Bösen abzulassen und moralisch gut zu handeln. So legt an diesem Feiertag der Mensch Rechenschaft ab über sein Tun und Lassen. Daran erinnert der Schofar, ein Widderhorn, das im Morgengottesdienst an mehreren Stellen in festgelegter Tonfolge geblasen wird.

Wenn dies in Vorbereitung auf diesen Festtag in Niederstetten der Fall war, meinten die Einheimischen: „Jetzt fängt das Winterhörnle zu blasen an“. Zu den Vorbereitungen auf das Fest gehörte auch, dass neue Anzüge und Kleider bestellt wurden, die man dann stolz an Neujahr tragen konnte. Briefe wurden mit Hochdruck geschrieben, Fremde und Verwandte eingeladen. Am zweiten Tag wurde „Taschlich“ (Gebet an einem fließenden Wasser) gemacht. Die Leute wanderten zu den Brücken, die über den Vorbach führten und sprachen still ein Gebet.
Zurück Weiter lesen
Radfahrer auf der ansonsten chronisch verstopften Autobahn 20 in Tel Aviv Jom Kippur Feier in einer Armeestellung im Sinai Jom Kippur - der große Bußtag Der Höhepunkt der Bußzeit bildet der Versöhnungstag. Der Tag der Reue, Buße und Umkehr. Die Körperhygiene wird auf ein Mindestmaß beschränkt, essen und trinken sind nicht erlaubt. Man fastet und widmet sich dem Gebet.
Im Gedenken an die Verstorbenen wurden in Niederstetten Kerzen im Vorraum der Synagoge aufgestellt. Die Farbe Weiß dominierte und am Tag vor dem Feiertag brachte man Äpfel mit Gewürznelken bespickt in die Synagoge. Jedes Familienmitglied bekam einen davon. Er diente zur Erfrischung während des ganztägigen Fastens, das am Abend mit einem gemeinsamen Essen aufgehoben wird.

Der Tag, seine Würde, der dahinterstehende Ernst, ist in der Öffentlichkeit stärker ausgeprägt als bei anderen Festen. Unterhaltungs- und Vergnügungsstätten sind geschlossen. Der öffentliche Verkehr ruht, Fernseh- und Radiosendungen sind eingestellt. Der Ernst des Tages wird in Israel durch die Erinnerung an den Krieg von 1973, als das Land ausgerechnet am Jom Kippur angegriffen wurde, unterstrichen.

Zurück Weiter lesen
Sukkaanbauten an einem Wohnhaus Etrog (Zitronatzitrone); gehört neben Palmzweigen zum Innern einer Laubhütte Sukkot - Laubhüttenfest Am ursprünglichen Wallfahrtsfest, das später auch als Erntedankfest verstanden und gefeiert wurde, erinnert man sich an den Auszug aus Ägypten. Viele Haushalte errichten in den Tagen vor dem Fest provisorische Behausungen (Laubhütten) in denen man vorübergehend lebt und vor allem die täglichen Mahlzeiten einnimmt. Sie sind jenen Hütten nachgebildet, in denen die Israeliten in der Wüste und Heimatlosigkeit lebten. Mit Palmwedel, Zitrusfrüchten, Myrten und Weidenzweigen werden sie provisorisch geschmückt. In Israel werden im ganzen Land Laubhütten errichtet. Auf Hausdächern, Parkplätzen, Rasenanlagen. Jede Militärbasis hat ihre Laubhütte.

Im Niederstettener Haushalt der Familie Stern in der Hauptstraße gab es eine eingebaute Laubhütte, die man im Flur unter Abnahme der Dachziegel eingerichtet hatte.
Nicht alle Juden hatten freilich eine eigene Laubhütte. Die Gemeinde errichtete deshalb eine Sukkot im Hof hinter der Synagoge. Lehrer und Schüler halfen, sie zu bauen und zu schmücken.

Der Bau einer Hütte soll den Menschen vor Augen führen, dass Materielles vergänglich, doch Gott ewig ist. In ihm und nicht in einem Haus finden Menschen Heimat und Sicherheit. Ist es nicht außerdem ratsam, sich ab und zu daran zu erinnern, dass wir alle zusammen „ein wenig Flüchtlinge“ sind? In der Tora heißt es: „Einen Fremdling sollst du weder unterdrücken noch ihn benachteiligen, denn ihr seid selber Fremdlinge im Land Ägypten gewesen.“
Zurück Weiter lesen
Purimfest in Dresden 2016 Purim Purim hat seinen Ursprung im Buch Esther der hebräischen Bibel. In diesem Buch wird die Rettung der Juden in der persischen Zeit des 5. Jahrhunderts vor unserer Zeit erzählt. Der König erwählte, nachdem seine eigentliche Auserwählte ihn verlassen hatte, eine neue Königin, Esther. Sie war von einem Juden namens Mordechai großgezogen worden, nachdem ihre Eltern gestorben waren. Nach einiger Zeit bekam ein Mann namens Haman eine höhere Stellung. Er veranstaltete ein Festessen für den König, wobei sich all seine Untertanen und Minister vor ihm verbeugen und ihn verehren sollten. Mordechai jedoch weigerte sich. So beschloss Haman ihn und sämtliche Juden ausrotten zu lassen, was der König genehmigte. Der genaue Tag der Hinrichtung sollte durch ein Los (Pur) bestimmt werden. Doch Esther gelang es, auf listige Art den König dazu zu bringen, dass er den Juden das Recht gab, sich zu wehren.
Es wurde befohlen, Haman sei an den Galgen zu hängen, den er für Mordechai errichten ließ. Noch am gleichen Tag wurde Mordechai an Stelle Hamans in dessen hohes Amt eingesetzt. Der König ordnete zudem an, die Verfügung Hamans gegen die Juden zurückzunehmen.

Auch in Niederstetten maskierte man sich an diesem Fest – fiel doch diese Zeit gewöhnlich mit den Karnevalstagen zusammen. Gutes Essen und Trinken war wichtig. Als Spezialität gab es Hamans. Ein Gebäck in Form eines Mannes. Vernichtung des Todfeindes durch aufessen. Zur Tradition in jüdischen Haushalten der Kleinstadt gehörte auch der Verzehr von Geräuchertem. Im Hauskamin durfte dann keine Kohle mehr im Ofen oder Küchenherd verbrannt werden. Räucherware musste eine Zeitlang hängen – eine Erinnerung an Haman, der durch den Strang starb.

Bekannt ist auch die „Hamantasche“, ein Hefe- oder Strudelteiggebäck mit Mohn oder Pflaumenmus gefüllt. Die Dreiecke sollen der Überlieferung nach entweder an die Ohren von Haman erinnern oder an seinen Hut.

Die sonstige Zurückhaltung Alkohol gegenüber gilt an diesem Festtag nicht. Das Gegenteil ist der Fall. Eine Regel der Rabbiner besagt: Man soll so viel trinken, dass man nicht mehr zwischen „Gesegnet sei Mordechai“ und „Verflucht sei Haman“ unterscheiden kann. Die Art des Alkohols spielt keine Rolle. Das kann Wodka sein, Juden aus Nordafrika bevorzugen klaren Feigenschnaps, und mancherorts geht die Tendenz zum Single Malt Whisky.

Krach und Kostüme gehören noch zu diesem Fest. Bei der Lesung der entsprechenden Geschichte aus dem Buch Esther haben die Kinder die Aufgabe, den Namen des Bösewichts mit Rasseln, Tuten und Klappern zu übertönen. Außerdem können die Mädchen sich als Königin Esther verkleiden und die Jungen sich mit einem grauen Bart schmücken. Inzwischen gibt es noch viele andere Möglichkeiten. Man geht als Weltraumfahrer, Alice im Wunderland, Cowboy oder Nonne. Wie beim Fasching: Die Welt wird ver-rückt!
Zurück Weiter lesen
Passa Das Passafest, im Monat Nissan (März/April) gefeiert, hat seinen Ursprung in der Erinnerung an die Befreiung des Volks Israel aus der Ägyptischen Sklaverei. Im Gedenken an dieses Ereignis wird nur „Ungesäuertes“ gegessen, weil der plötzliche Aufbruch keine Zeit ließ, den Brotteig säuern zu lassen. Zuvor steht ein Hausputz an. Kein Krümel Gesäuertes darf sich mehr in der Wohnung finden. Mit einer Kerze wird rituell in jeder Ecke des Hauses danach gesucht.

Am ersten Abend dieses Festes, dem Sederabend, versammelt sich die Familie nach dem Gang in die Synagoge um den gedeckten Tisch zu Hause. Allerlei symbolträchtige Speisen, die einen Bezug zur Knechtschaft in Ägypten haben, liegen auf dem Sederteller, von dem im Laufe des Abends gegessen wird. In der Pessah-Haggadah zusammengestellte Text werden verlesen und auf spezielle Fragen der Kinder hin auch erklärt.

Bruno Stern beschreibt die Veränderungen, die sich mit dem Jahr 1933 bei der Feier dieses Festes bemerkbar machten. Hatte man vorher immer wieder auch Christen zum Fest eingeladen, unterließ man dies nun. „(...) noch nie hatten wir einen ähnlich bedrückenden Seder-Abend erlebt (...). Die erste Seder-Feier unter dem Naziregime hingegen brachte uns zum Bewußtsein, dass das Joch, unter welchem die Israeliten einst in Ägypten gelitten hatten, immer wiederkehrte und die Juden aller Zeitalter traf, sobald sie wähnten, die Freiheit gewonnen zu haben. Im Licht der veränderten Lebensbedingungen lasen wir nun die Passagen der Haggadah mit ganz anderen Augen, und alles erhielt eine neue Bedeutsamkeit. Es war Seder voller Ergebenheit und voller Empfänglichkeit für Trost und Hoffnung.“
Zurück
Der Lehrer und Vorbeter Der Vorbeter oder Vorsänger, im Hebräischen Chasan genannt, leitet den Gottesdienst in der Synagoge. Er trägt dabei bestimmte Gebete laut oder mit Gesang vor. Ursprünglich wurde dies von den Teilnehmern des Gottesdienstes selbst ausgeübt. Als sich jedoch die Liturgie ausweitete und besondere Kenntnisse nötig wurden, entwickelte sich das Vorbeten zum eigenständigen Beruf. Später trat dann das Vorbeten hinter dem Gesang zurück, und der Vorbeter entwickelte sich immer mehr zum Vorsänger, zum "Kantor". Ein Vorbeter ist in der Regel Angestellter der Jüdischen Gemeinde. Oftmals war dieses Amt mit dem Beruf des Lehrers verbunden. Da der Vorbeter die Gemeinde beim Gebet vertreten sollte, wurde ihm ein besonders untadeliges Verhalten abverlangt. Der Kantor trug in Niederstetten einen besonderen Talar, der dem eines evangelischen Pfarrers ähnlich war.

Lehrer waren geschätzte und hoch geachtete Persönlichkeiten, Dreh- und Angelpunkt einer jüdischen Gemeinde mit vielen weiteren Funktionen, gerade auf dem Land. Davon zeugt der Nachruf aus der Zeitschrift „Der Israelit“ vom 2. November 1933: „(...) Vor wenigen Tagen hat Herr Oberlehrer Oberndörfer mit seiner Familie unsere Gemeinde nach 14-jähriger Tätigkeit verlassen. Herr Oberndörfer war Elementarlehrer, Vorbeter, Vorsitzender des Vorsteheramtes, Gemeinderechner, Rechner des Frauenvereins und Vortragender in den Schiurim" (Vortrag oder eine gemeinsame Erörterung und Auslegung von Passagen aus der Thora, dem Talmud oder anderer heiliger Schriften) „(...) Mit vorbildlicher Pünktlichkeit und mit unermüdlichem Eifer erfüllte er seine Pflicht als Lehrer und Vorbeter. Mit größter Genauigkeit führte er die Rechnung der Gemeinde. (...) Durch sein glänzendes Vorbild eines streng religiösen Lebenswandels hat
Herr Oberlehrer Oberndörfer in unserer Gemeinde jüdisches Leben erhalten und gefördert(...)."
Lebenslanges Lernen Beim Religionsunterricht Die jüdische Kultur ist eine, die von sich behaupten kann eine lebenslange Lernmotivation und Lernfähigkeit zu eröffnen. Das Lernen ist keine zeitgebundene Tätigkeit, sondern etwas, was immer existiert und nie aufhört. Der Lerninhalt lautet: "Widme Dich dem Studium der Tora" (Sprüche der Väter 4, 12). Schon kleine Kinder lernen hebräisch zu lesen. Sie lernen das "Schma Israel", das Grundbekenntnis der Juden, und werden mit den Festen des Judentums vertraut, soweit sie diese von zu Hause noch nicht kennen. In einer jüdischen Schule lernt man neben den Fächern öffentlicher Schulen auch das intensive Studium der Tora und die hebräische Sprache kennen. Das Lernen beschränkt sich dabei nicht nur auf die Kindheit und die Jugend, sondern auf das ganze Leben. Kein Jude ist zu alt, den religiösen Lernpflichten nachzukommen. Kein Wunder, dass im Haus der Familie Stern in Niederstetten nicht nur die lokalen Zeitungen sondern auch die Stuttgarter, die Frankfurter und Blätter aus den USA gelesen wurden. Die Bibliothek im Hause Stern hatte einen Bestand von über 5000 Büchern.
Die "Schul" In der Niederstettener Synagoge befand sich der einzige Schulraum, der zugleich die israelitische Volksschule/Konfessionsschule war. Die Einrichtung wird als sehr betagt beschrieben. Aus einer Gemeindeabrechnung weiß man von der Besoldung eines jüdischen Schulmeisters aus dem Jahr 1748. Es muss in jenen Jahren bereits eine Schule an anderer Stelle gegeben haben. Einige Jahrzehnte vorher wurde ihnen erlaubt, einen Rabbiner, einen Vorsänger/Kantor und Schulmeister anzustellen.

Der jüdische Religionsunterricht wurde vom Kantor und Lehrer erteilt und stand unter der Aufsicht des Oberrats. Für die anderen Fächer war der evangelische Schulrat zuständig. Kantoren und Lehrer hatten zuvor eine Prüfung zu absolvieren, wie alle anderen staatlichen Lehramtsanwärter im Staatsdienst, um zu beweisen, dass die nötige Allgemeinkenntnis und didaktische Fähigkeiten vorhanden waren. Ihre Ausbildung erhielten die aus dem Fränkischen stammenden Kandidaten in der 1864 eröffnete Israelitischen Lehrerbildungsanstalt Würzburg. Die Kinder besuchten nach den ersten vier Jahren Volksschule danach meistens die Realschule. Diese hatte nur drei Klassen. Manche setzten danach ihre Schulbildung fort und legten in Bad Mergentheim oder Schwäbisch Hall das „Einjährige“ ab. In Schwäbisch Hall oder Tauberbischofsheim gab es die Möglichkeit, die Reifeprüfung abzulegen.
Lernen als Lebensprinzip Schule in Lublin 1924